Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Leopold Auer/Eva Ortlieb (Hrsg.)
(= Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, Bd. 3, 1)
Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2013, 297 S., ISBN: 978-3-7001-7432-5, EUR 59
Auch wenn das zu besprechende Werk wie ein Skriptum aussieht, beinhaltet es wesentliche Aufsätze, die sich mit der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gerichtsbarkeitshistorie beschäftigen. Man muss wissen, dass Gerichtsakten auch für viele Teildisziplinen der Geschichte jede Menge bedeutsame Quellen beinhalten. Überdies ist es gut, wenn man mit diesen arbeitet, selbst wenn die althergebrachte Prozessrechtsgeschichte dieses Genre bisweilen mehr als nur stiefmütterlich behandelt hat.
Im Buch mit dem unschönen Einband wurden 15 präzise Abhandlungen gesammelt. Den Anfang macht den an der von 1988 bis zu seiner Emeritierung 20 Jahre später als Ordinarius für Bürgerliches Recht, Kirchenrecht und Europäische Rechtsgeschichte an Universität Regensburg tätige Hans-Jürgen Becker, der sich mit der Entwicklung der Appellation im kanonischen Recht beschäftigt. Dabei spannt der Autor den Bogen von der klassischen Periode bis zur nach-tridentinischen Epoche.
Susanne Lepsius von der Ludwigs-Maximilians-Universität München hat einen Lehrstuhl für Gelehrtes Recht, Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht. Sie beschreibt in ihrem Aufsatz Appellationen vor weltlichen Gerichten in Italien. Als Zeitmaß wählt sie die Spanne vom 13 bis zum 15. Jahrhundert. Dabei geht sie auf die Theorie der Juristen und die kommunale Prozesspraxis ein.
Der in Haile an der Saale einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte innehabende Heiner Lück schreibt über Appellationsprivilegien und gibt darüber Auskunft, ob sie als Gestaltungsfaktoren der Gerichtsverfassung im Alten Reich angesehen werden können oder nicht.
Bernd Schildt war bis 2014 als Professor für Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum tätig. In seinem Aufsatz geht es um das Reichskammergericht als oberste Rechtsmittelinstanz im Reich.
Karin Nehlsen-von Stark ist eine deutsche Juristin und emeritierte Universitätsprofessorin für deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Freiburg, die Studien zur Handels- und Prozessrechtsgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit vorgelegt hat. In ihrer Arbeit geht es um die Appellation und Nichtigkeitsklage aus der Sicht der frühen Kameralistik.
Von Bedeutung ist auch der Aufsatz von Wolfgang Sellert, der lange in Göttingen als Professor für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht im Einsatz war und als Experte für die Höchstgerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation angesehen werden kann, hat sich zur Aufgabe gemacht, prozessrechtliche Aspekte zur Appellation an den Reichshofrat zu Papier zu bringen.
Ellen Franke, die seit fünf Jahren wissenschaftliche Geschäftsführerin der Historischen Kommission zu Berlin e. V. im Amt ist, forscht hauptsächlich zu rechts- und verfassungshistorischen Thematiken des Alten Reichs. Ihr Aufsatz hat das Thema: Bene appellatum et male iudicatum. Appellationen an den Reichshofrat in der Mitte des 17. Jahrhunderts an Beispielen aus dem Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis,
Die Historikerin Verena Kasper-Marienberg hat in Tübingen ihre Diplomarbeit und in Graz ihre Dissertation geschrieben. Nun ist sie in der North Carolina State University tätig. Ihre Ausführungen hat den Titel „…daß in erster Instanz übel und widerrechtlich gesprochen“. Zur Rechtspraxis und Funktionsweise von Appellationen am Reichshofrat im Kontext jüdisch-nichtjüdischer Konflikte in Frankfurt a. M. im 18. Jahrhundert.“
Kommen wir zu Jürgen Weitzel. Der im April 2015 nach langer, schwerer Krankheit verstorbene Professor, der einen Lehrstuhl an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg innehatte, hat seine Gedanken zum Reichshofrat und das irreguläre Beschneiden des Rechtsmittels der Appellation notiert.
Der an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität Geschichte der Frühen Neuzeit lehrende Matthias Schnettger richtet den Fokus seines Interesses auf Appellationen aus Reichsitalien und erkennt ein Konfliktfeld zwischen Reichshofrat und Plenipotenz.
Eva Ortlieb beschäftigt sich mit dem Reichshofrat als Revisionsgericht für Österreich. Da sie einen Lehrstuhl in Graz bekleidet und am Wiener Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte arbeitet, liegt es auf der Hand, dass sie dortige Quellen aufgearbeitet hat.
Alain Wuffels ist Belgier. Sein Aufsatz hat Appellationen am Großen Rat von Mecheln zum Inhalt. Dazu ist es interessant zu wissen, dass diese Institution zwischen dem 15. Jahrhundert und der Französischen Revolution das höchste Gericht in den habsburgischen und in der Folge spanischen Niederlanden war.
Der Historiker und Archivar Petr Kreuz ist in der tschechischen Hauptstadt Prag im Einsatz. Sein Thema umfasst das Appellationsgericht in Prag von 1548 bis 1783. Dabei geht er nicht bloß auf die Forschung, sondern auch auf die Quellen und die geschichtliche Entwicklung ein.
Thomas Lau lehrt seit gut eineinhalb Jahrzehnten als Privatdozent Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Als Forschungsgebiet gibt er die Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches an. Sein Aufsatz im zu rezensierenden Band beinhaltet die Tagessatzung als Appellationsgericht.
Stefan Andreas Stodolokowitz ist Richter am Landgericht Lüneburg und wurde mit einer rechtshistorischen Arbeit über das Oberappellationsgericht Celle promoviert. Daher kann man verstehen, dass er sich mit dem Rechtsmittel der Appellation am Celler Oberappellationsgericht auseinandergesetzt hat.
In der Summe ist es ein informativer und in der gleichen Weise eindrucksvoller Sammelband mit einem zentralen Rechtsgeschichtsthema, der um ein Siglen- und Abkürzungsverzeichnis ergänzt wird. Wer sich mit dem einen oder anderen skizzierten Forschungsgegenstand beschäftigen will, kann das Schrifttum konsultieren, das sich am Ende des jeweiligen Aufsatzes befindet. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Thema weitere Arbeiten mit sich bringt und das Interesse an der Verfahrensgeschichte und an den Appellationen im Rahmen der früheren, neuzeitlichen Rechtshistorie nicht abebbt.
Mag. phil. Andreas Raffeiner, Bozen
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